12
Uschi Glas lieferten genauso wie „adelige und intellektu-
elle Mütter von Bogenhausen bis Starnberg“ Abgelegtes
ihrer Kinder als Nachschub und ließen sich im Gegenzug
gerne mit puristischer französischer Mode entlohnen.
Die importierte Ann Dörr von ihrem früheren Auftragge-
ber und trug sie nicht nur selbst, sie hängte sie auch als
„Geheimtipp“ auf eine Stange ihres Shops. „Das hätte im-
mer so weitergehen können“, resümiert Ann Dörr, die
damals ziemlich zufrieden war. Da ihr dieser Zustand
aber bis heute suspekt, da zu „gesettelt“ erscheint, kam
ihr der nächste Schritt gerade recht: das Versiegen ihrer
Pariser Quelle für Damenmode und somit die Notwen-
digkeit, die Lücke anderweitig zu füllen. Kurzerhand ent-
warf Ann Dörr, die keinen Knopf annähen kann, die erste
„Wantan“-Hose nebst „Zipfel“-Bluse, die sie von einer be-
freundeten Schneiderin nähen ließ und auf Anhieb so gut
verkaufte, dass sie die Kinder-Abteilung immer stärker
ausdünnen und allmählich auf Outfits für Frauen umsat-
teln konnte; der Auftakt zu ihrer „Kandis“ genannten
Kollektion, die sie seit 1989 gemeinsam mit ihrem Her-
renmode machenden Sohn am heutigen Standort und
seit 1993 zusätzlich in der Residenzstraße verkauft.
„Ich entwerfe nur das, was mir persönlich gefällt und zu
meiner Figur passt“, umreißt Ann Dörr ihren individua-
listischen Stil. Der basiert laut Label-Philosophie auf
„hochwertig verarbeiteten Materialien, kombiniert mit
einfacher, reduzierter Schnittführung“. Er soll „dezent,
lässig und edel“ sein, „die Persönlichkeit unterstreichen“
sowie „ältere Frauen schöner machen“. Bestes Beispiel
ist das schlichte schwarze Ensemble aus langer Hose
nebst passendem Oberteil, das sie bei unserem Treffen
trägt und das ihr waches Gesicht unter den kurzen brau-
nen Haaren in Szene setzt. Für Akzente sorgen außer rot
geschminkten Lippen große silberne Ohrringe nebst
passender Edelmetall-Brosche und massivem Armreif –
Schmuckstücke, die sie ebenfalls nach ihren Vorstellun-
gen fertigen lässt. Denn so gut ihre Läden, die in den
80er- und 90er-Jahren besonders boomten, auch laufen:
Etwas mehr als Mode sollte es im Lauf der Zeit schon
sein. Resultat ihrer Experimentierfreude ist neben einer
Accessoire-Palette von der Hand- bis zur Reisetasche seit
1996 auch „Africa & House“: eine kleine, feine Fundgru-
be für ausgewählte Kunstobjekte, Skulpturen, Kleinmö-
bel und Kleidung aus afrikanischen Stoffen mit europäi-
schen Schnitten, die sich in der Mitte zwischen Galerie
für Ethno-Kunst und Kunsthandwerk positioniert.
Grund für diese geschäftliche Expansion auf die gegen-
überliegende Seite der Hohenzollernstraße war Akin
Victor, Ann Dörrs aus Nigeria stammender Ehemann
Nummer drei. Durch ihn lernte sie ab 1993 ein Land
kennen, das ihr auf der ersten Reise zugegebenermaßen
einen „Kulturschock“ versetzte, sie dann aber doch reiz-
te, „die hellen Seiten des dunklen Kontinents ins Licht
zu rücken“. Und das einerseits, indem sie einmal pro
Jahr mit Akin dessen Heimat und die Nachbarstaaten
von Benin bis Mali durchquert, um dort nach interes-
santen Gebrauchs- und Kultgegenständen zu fahnden,
was „wie Pilze suchen“ sei. Andererseits organisiert sie
regelmäßig Veranstaltungen im angeschlossenen Africa
& House-Forum, das sie in den Räumen einer ehemali-
gen Seilerei als „Drehscheibe einer neuen Form von
schwarz-weißer Lebensgemeinschaft“ und Bühne für Le-
sungen, Konzerte und Vorträge versteht.
Indem sie nur ein paar Schritte über die Straße geht, kann
sich Ann Dörr so zwischen zwei sehr unterschiedlichen
Welten hin und her bewegen. Was Außenstehenden als
anstrengender Spagat erscheinen mag, bedeutet für sie
ein abwechslungsreiches, inspirierendes Leben, aus dem
sie viel „Bestätigung und Selbstwertgefühl“ zieht. „Ich bin
stolz, dass ich ein noch immer funktionierendes Unter-
nehmen führe, das 35 vorwiegend ältere Mitarbeiter be-
schäftigt und in Deutschland produziert“, betont Ann
Dörr, die für ihr Engagement mehrfach ausgezeichnet
wurde. Die Zügel irgendwann aus der Hand zu geben,
kann sie sich daher nur schwer vorstellen, von einem ge-
ruhsamen Rentnerdasein ganz zu schweigen, weil sie zwar
ihren „Platz in der Welt gefunden“ hat, aber trotzdem
„noch nicht angekommen“ ist. Längere Pausen gönnt sie
sich nur im Urlaub, wie jenem, der wenige Tage später an-
steht. Bis dahin hat die Umtriebige aber noch „sooo viel
zu erledigen“. Sagt’s, verabschiedet sich und eilt davon, um
die Renovierungsarbeiten daheim auf Trab zu bringen.
ANTOINETTE SCHMELTER DE ESCOBAR
Eigene Entwürfe und Accessoires: Ann Dörr pendelt
zwischen Modeladen und Afrikahaus in Schwabing
1...,4,5,6,7,8,9,10,11,12,13 15,16,17,18,19,20,21,22,23,24,...100