Seite 10 - goliving.de

Basic HTML-Version

10
Foto:
Markus Schlaf
Leben in der Stadt
„Ich bin
eine wandelnde
Plattform“
Aus Geldnot zog sie sich aus und wurde zur Kunstfigur. Heute
gehört Zehra Spindler zu den kreativsten Kultur-Veranstalterinnen
Münchens. Und weil sie für „diese geniale Stadt“ brennt wie keine
zweite, spinnt sie ihr Netzwerk immer weiter
M
ünchen, ein Mittwoch, Rathausgale-
rie. Auf dem Podium sitzen Stadtbau-
rätin Merk und Zehra Spindler. Sie
überlegen vor Publikum, wie mehr
„Kreativitäts-Quartiere“ entstehen
könnten. „Wie findet die Idee den Ort?“ überlegt Profes-
sorin Merk. „Was gibt der Raum her?“ fragt Spindler zu-
rück. Sie hat schwarze Haare, schwarzlackierte Finger-
nägel, Augen voller Energie. Und beginnt zu erklären,
wie es ist, wenn sie in ein leeres Haus kommt, zum Bei-
spiel in das Ex-Hertie-Haus in Giesing im Jahr 2010. Wie
sie 6000 Quadratmeter leere Räume betritt, plötzlich
„dieses Kribbeln“ spürt und vor sich sieht, was passieren
könnte. Weil sie „notorisch chronisch pathologisch lö-
sungsorientiert“ sei. Eine Macherin, eine Kontakterin,
eine unermüdliche Social-Media-Frau! Deshalb wurde
aus dem Kaufhaus „Puerto Giesing“ ein Kulturhafen voll
interessanter Zonen und Räume für Künstler, DJs, Ha-
cker. Da mischten Jung und Alt, Pop- und Subkultur sich
bunt zum fiebrig kreativen Aufbruch im Abrisshaus, in
Spindlers bislang größtem Projekt. Seitdem ist die
43-jährige Münchnerin nicht nur neuer Hipster, son-
dern weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannt.
Die Zehra. Das Mädchen aus dem Westend, das bis 16
noch die Straße wechselte, wenn ihr ein Mann entgegen
kam. Tochter einer Tschetschenin und eines Usbeken,
Gastarbeiter, Muslime, die sie früh verheiraten wollten.
„Ich war begehrt, ich hatte einen deutschen Pass.“ Erzählt
Zehra Spindler lachend. Damals fand sie’s nicht komisch,
als türkische Familien klingelten, damit der Sohn sie be-
gucken konnte. „Ich hab dann den Tee mit einer Kippe im
Mund serviert. So gehorchte ich meinen Eltern, und als
Braut war ich unten durch.“ Zu ihrem Glück gefiel ihren
Eltern, wie sie das mit so einer einfachen Geste erreichen
konnte. Umgekehrt denkt Zehra Spindler heute, ihre Er-
ziehung hätte ihr geholfen „Schlupflöcher zu finden. Ich
musste oft sofort lebendig und wief sein. Das brauche ich
heute inmeinemJob. Denn was ichmache, ist ganz schön
riskant!“ Ohne Budget einen Ort übernehmen, Veran-
staltungen finanzieren und persönlich zu haften. „Da
muss man ständig überlegen, was man anders macht,
wenn es eigentlich nicht geht, aber schnell gehen muss.“
Um Genehmigungen zu bekommen. Umzubauen, Toilet-
ten zu installieren, all das.
Als Jugendliche rasierte sie erstmal ihre langen Haare
ab. Feierte im Substanz. Lernte professionell schreiben.
Wurde Redakteurin imMünchner Stadtmagazin, berich-
tete aus dem Nachtleben und über Lifestyle. Sie organi-
sierte die erste Nacht der Museen mit. „Damals kam
mein damaliger Chef auf mich zu und sagte: ‚Du bist