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doch so ne Partymaus. Kannst du was mit Musik ma-
chen?’“ Sie entwarf die lange Nacht der Musik, „mein
Baby“, inklusive Veranstaltungen in der Muffathalle für
gute Musiker ohne Anbindung an Hilton oder Jazz-Club.
Es folgte die Lange Nacht der Bücher. Dabei wurde der
Blumenbar-Verlag gegründet. Leider gab’s dieses Event
nur ein Mal. „Das Konzept scheiterte daran, dass es so
erfolgreich, der Andrang zu groß war. Buchhandlungen
haben ja nur eine begrenzte Kapazität.“
Bei der langen Nacht der Musik gefiel Zehra Spindler al-
lerdings nicht, dass sie kaum Kontakt zu den Künstlern
hatte. Damals fehlte noch das Web 2.0. Für die Spindle-
rin, die Spinne im Netz! Dass sie das sein wollte, ent-
deckte sie, als sie ganz unten war: Mitte 30, geschieden,
mit kleinem Kind, ohne Geld. „Meine Eltern sagten,
wenn du dich scheiden lässt, brauchst du nicht mehr zu
kommen. Was sollte mir da noch passieren?“ Sie kündig-
te auch ihren Job. „Facebook war mir damals eigentlich
unsympathisch, eine Datenkrake.“ Dann entdeckte sie:
„Das ist es doch. Facebook ist der Rückkanal zum Künst-
ler.“ Man spürt die Zündschnur, die seitdem brennt: „Da-
mit brauchte ich keinen Drucker, kein Poster, keine Se-
kretärin, kein Büro, nur einen guten Internet-Anschluss
und einen Laptop.“ Aus sich selbst machte sie eine Kunst-
figur, „eine alberne, die zu meiner eigenen Litfaßsäule
wird.“ Sie löschte ihren Verteiler mit 2000 Journalisten-
Adressen, um den Jagdinstinkt der Presse zu wecken.
Wie das? „Wie eine Frau, die auf der Balz ist, sich rar
macht und nicht dauernd anklopft wie eine Pressefrau.“
Dann zog sie sich aus, nackt, mitten im Winter auf der
Ludwigstraße. Eine Stunde lang stand sie da, bemalt.
Die aus der Not geborene Performance für kulturelle
Zwecke zog. Aus Zehra Spindler wurde die „semifiktive
Veranstaltungsgeneratorin Z851“, zu der man hinsah.
Danach konnte sie unter dem Label Z851 Veranstaltun-
gen organisieren, zum Beispiel die alternativen Stadtge-
burtstage, Galerien auf Zeit, eine Hundertwasser-Aus-
stellung, bei der sie die Schulen mit einbezog. Seitdem
ist sie die Netzwerkerin, die ständig Leute zusammen-
bringt, an den unterschiedlichsten Orten. Die coole
Kunstfigur Zehra, „die immer gut drauf ist“, könnte in
zwei Minuten rund 25.000 Leute kontaktieren, per Fa-
cebook, Twitter, Handy. Wobei sie immer seltener schrill
auftreten muss. Seit Puerto Giesing kann sie offen träu-
men, sichtbar sein. Auf dem Podium der Rathaus-Galerie
„saß Zehra, das war ich“, sagt sie, als könne sie es selbst
nicht glauben. Sie ist viel schüchterner als die Kunstfi-
gur. Dabei ein warmer Mensch, den fast jeder mag, weil
diese Frau mit Herzblut für das steht, was sie tut. Seit sie
das Quartier 21 in Wien kennt, wünscht sie sich auch für
München so einen großen, unbürokratisch pulsierenden
Platz für Künstler. Die Praterinsel könnte so ein Ort
sein. Schließlich sei München genial, habe enormes Po-
tential, so viele Kreative, die nicht gezwungen werden
sollten, wegzugehen, weil es keinen Platz für sie gibt.
Leute wie Betty Mü, Patrick Mohr, die Medienkünstler
vom Chaos Computer Club. Anderen fehle noch ein Mo-
tivator wie sie, als Funken für jede Menge kreatives
Brennholz, das darauf wartet, gezündet zu werden.
Denn so gehe es nicht weiter, dass „man sich komplett
aufarbeitet, die Familie auf der Strecke bleibt und man
trotzdem nichts zu essen hat. Ich kenne viele Künstler
mit Harz IV, die machen tolle Sachen in der Stadt.“
Auch sie würde gerne mal für Jahre eine feste Plattform
bespielen. Außerdem hat sie jetzt einen Businessplan
geschrieben für eine „Schnittstelle zwischen Künstlern,
Behörden, Investoren“. Sie überlegt noch, wie sie dieses
Zwischennutzungsbüro nennt. Zur Zeit plant sie im „Art
Babel“, ihrem derzeitigen Kunstprojekt, im Norkauer
Haus. Das ist das Trafohaus der Elektrizitätswerke im
Bahnhofsviertel, das lange leer stand, obwohl sich daran
„schon Gott und die Welt die Nase platt gedrückt hat-
ten.“ Bis Zehra Spindler kam, überzeugte und loslegte:
Ausstellungen, Lesungen, Medienkunstprojekte, kleine-
re Konzerte, keine Partys diesmal. Das Projekt wurde als
„Bewegungsmelder 2011“ ausgezeichnet. Das Viertel
fühlt sich seitdem anders an.
Kann man so ewig arbeiten, noch mit 65? „Natürlich“,
strahlt Zehra, weil „wir das sind, die, die alt werden.“
Ihre Augen funkeln begeistert: „Weißt du, wie viele von
uns später mit Arschgeweih rumrennen werden? Die Ge-
neration ist doch im Rollstuhl noch cool, wir werden
auch dann wissen, was ein Graffiti ist. Uns kann man
nicht mehr abschieben. Wir werden Singlepartys haben
und uns keine Papphütchen aufsetzen lassen.“ Wenn
Zehra das sagt, fühlt man genau, wie lebendig es kom-
men wird, wenn sie nach passenden Orten sucht und
alles und alle vernetzt. Cool! KAREN COP
Wir, das sind die, die alt werden,
uns kann man nicht mehr abschieben