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MC Hurek
Bruckner, nicht meine Mode machen. Heute sind die
Karrieren wichtig. Also haben Bach und Beethoven un-
seren Karrieren zu dienen. Nein, es muss umgekehrt
sein: Wir haben denen zu dienen.
Man nennt Sie einen Bekenntnismusiker.
Das ist mein Prägestempel! Aber ja, ich bin Bekenntnis-
musiker, weil ich versuche, dem Bekenntnis des Kompo-
nisten nahezukommen. Nachdem ich mittlerweile ein
ziemlich ungläubiger Mensch geworden bin, erst recht.
Es ist ja nicht meine Befindlichkeit, mein Glaube, die
oder den ich zu dirigieren habe. Ich muss einem Werk
hinter die Wahrheit kommen. Und wenn ich glaube, sie
gefunden zu haben, dann muss ich dafür im Konzert ge-
radestehen. Natürlich ist das ein subjektiver Akt.
Diskutieren Sie mit Ihrer Frau, die ja auch Dirigentin
ist, über diese Wahrheiten?
Meine Frau und ich sind absolut einer Meinung in dem,
was wir zu tun haben, aber nicht, wie wir es tun. Als mei-
ne Mutter irgendwann einen runden Geburtstag hatte,
wollte meine Frau mit ein paar Musikern Bach spielen,
sie am Klavier, ich sollte dirigieren. Wir haben uns schon
über die ersten drei Takte in die Haare gekriegt. Unter
Dirigenten ist das ja ein heißes Eisen, also haben wir lan-
ge Zeit überhaupt nicht über Musik gesprochen. Mittler-
weile aber ist unser Austausch eine große geistige gegen-
seitige Befruchtung. Und uns verbindet eine tiefe
Freundschaft. Ich bewundere meine Frau sehr, sie ist
eine fantastische Operndirigentin.
Die sich der Kinder wegen zurücknimmt.
Ja, meine Frau verzichtet – ich hasse das Wort Karriere
– auf einen großen Weg, der ihr zustünde, weil sie für die
Kinder da sein will. Familie ist das Allerwichtigste. Da
teile ich ihre Meinung. Ich finde, die erste Aufgabe einer
Mutter ist, Mutter zu sein. Oder man muss es lassen. Das
gilt als konservativ – das bin ich, und zwar im dem Sinne,
Dinge zu bewahren, die ich als richtig erkannt habe.
Sie selbst haben, als ihre beiden ersten Söhne noch klein
waren, einige Zeit sehr bescheiden in einer Dreizim-
merwohnung gelebt. Waren es dennoch gute Jahre?
Ach wissen Sie, schöne Zeiten gibt es ja nicht. Genauso
wenig wie Glück. Es gibt Glücksmomente, glückliche
Phasen. Aber wenn mir einer sagt, er hat ein glückliches
Leben, dem glaube ich so nicht.
Sie pendeln zwischen Guttenberg und Neubeuern, da-
zwischen immer wieder München und der Rest der
Welt. Könnten Sie in der Großstadt leben?
Nein, ich bin ein Landmensch. Ich freu mich wahnsinnig
über die Kunst und darüber, in der Welt rumzukommen.
Das mach ich wegen meiner Arbeit. Am liebsten aber sitz
ich im Frankenwald und halt mein Maul …
Zurück zur Kunst: Der Weg vor dem Konzert von der
Garderobe zum Dirigentenpult?
Der Gang zumSchafott? Der ist uninteressant. Da passiert
gar nichts. Klar, eine innere Spannung ist da, aber man ist
schon so fokussiert. Ichmuss vor demKonzert auf alle Fäl-
le schlafen. Wenn das nicht geht, kann ich eigentlich absa-
gen. Dannmach ichmich heiß: Ich bade eiskalt. Direkt vor
dem Konzert dusche ich vor Ort noch mal kalt, und zwar
so kalt und so lange, dass es mir weh tut – da geht der
Kopf weg, man kämpft nur mit dem Schmerz.
Und der Weg zurück?
Rausgehen ist schwerer. Weil ich mit Applaus nicht um-
gehen kann. Ich will danach nicht über Musik reden, kei-
ne Gratulationen. Da hab ich Menschen schon verletzt
– das will ich gar nicht. Die wollen was Nettes sagen, und
ich bin grantig. Aber mit dem letzten Ton beginnt schon
die depressive Phase. Es ist nicht nur, dass die Spannung
weg ist. Es ist vielmehr – zumal, wenn man mit den ganz
großen Werken zu tun hat – das Gefühl, dass das Kön-
nen nicht genügt. Und wenn man wie ich an die religiö-
sen Inhalte nicht mehr glauben kann, in der Musik aber
– gerade bei Bach – dann doch wieder religiös wird, dann
ist das teilweise beschämend. Da komm ich mir verlogen
vor. Und wirklich weh tut, dass ich unendlich Heimweh
bekomme nach meinem Kinderglauben. Zudem gebührt
der Applaus ja nicht uns, sondern dem Werk.
Zwischen kalter Dusche vor dem Konzert und dem
Applaus danach aber
tauchen Sie ein in die Musik?
Ehefrau Baronin Ljubka Biagioni zu Guttenberg
dirigiert bei den Herrenchiemsee Festspielen
Brahms’ „Ein deutsches Requiem“ und „Eine
Faust-Symphonie“ von Franz Liszt