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in erfrorenes Mädchen im
Schnee. Dieses Nachrichten-
Foto eines tibetanischen Flücht-
lingskindes bewegte Maria Blumen-
cron 1997 so sehr, dass sie es nicht
mehr aus dem Kopf bekam. „Wa-
rum schicken Eltern ihr Liebstes
alleine über den Himalaya?“, fragte
sich die damals 32-Jährige, die
selbst mit zweieinhalb von ihrer
Mutter verlassen wurde. Und „wie
muss es sich anfühlen, dort einsam
zu sterben?“ Um das herauszufin-
den, machte sich die Schauspielerin,
die damals mit Rollen in TV-Serien
wie „Kurklinik Rosenau“ weder
„wirklich glücklich“ noch „ganz bei
sich“ war, auf den Weg: recherchier-
te zur angespannten Lage im seit
1959 von China besetzten Tibet,
die viele Familien veranlasste, ihre
Kinder aus wirtschaftlichen oder
kulturellen Gründen über fast 6000
Meter hohe Himalayapässe ins Exil
zu schicken, reiste in diese Gegend
und schrieb schließlich ein dreiseiti-
ges Exposé, das über eine Bekannte
beim ZDF landete. „Die haben
gemerkt, dass ich nicht mehr
aufzuhalten war. Ich musste einen
Dokumentarfilm drehen“, erinnert
sich die Mimin, die zum damaligen
Zeitpunkt außer der Teilnahme an
einer Drehbuchwerkstatt und
Hörspielen für den WDR keine
einschlägigen filmischen Erfahrun-
gen vorzuweisen hatte. „Erstaunli-
cherweise habe ich sofort eine
Zusage bekommen, bin im ersten
Anlauf aber gescheitert.“ Beim
Versuch, eine Flüchtlingsgruppe von
Tibet aus über die Berge zu beglei-
ten, wurde sie nämlich am
25. Dezember 1999 von der chinesi-
schen Polizei verhaftet. Während sie
nach zwei Nächten wieder frei kam,
landete der Fluchthelfer zweieinhalb
Jahre in Folter-Haft. Maria Blumen-
cron, die sich selbst als „Getriebene“
bezeichnet, machte trotzdem weiter:
Von nepalesischer Seite aus begeg-
nete sie einer anderen Flüchtlings-
gruppe mit sechs Kindern und
begleitete mit der Kamera deren
schwierigen Abstieg vom „Dach der
Welt“ bis nach Kathmandu und
dann bis ins nordindische Dharam-
sala, wo die Mädchen und Jungen
in einem SOS-Kinderdorf unterka-
men und dort vom Dalai Lama
empfangen wurden. Entstanden ist
der Film „Flucht über den Himala-
ya“, der im ZDF ausgestrahlt wurde.
Seither hat sie weder dieses Sextett
noch das Thema losgelassen. Als
Patin übernahm sie die Verantwor-
tung für Chime, Dhondup, Dolker,
Lhakpa, Pema und Tamding,
besucht sie bis heute regelmäßig,
verarbeitete das Filmthema in
einem gleichnamigen Buch (bei
Random House erschienen) und
schrieb gemeinsam mit ihrer
Patentochter Chime „Kein Pfad
führt zurück – Aufbruch in ein
neues Leben.“ Sie gründete die
Charity-Organisation Shelter108
e.V. „für schutzbedürftige Kinder
und bedrohte Kulturen“. Definitiv
„letzter Schritt“ auf ihrer langen
Reise rund um das Thema Tibet soll
jetzt „Wie zwischen Himmel und
Erde“ sein: die Spielfilm-Version
ihrer Flucht-Geschichte, in der
Hannah Herzsprung die Hauptrolle
spielt. „Es gibt schon Ähnlichkeiten
zu mir“, erklärt Maria Blumencron.
„Aber Johanna ist so etwas wie
meine bessere Schwester, weil sie
mutiger ist und etwas macht, was
mir nicht gelungen ist – die Polizei
abzuhängen und eine Flüchtlings-
gruppe von Tibet aus ins Exil zu
begleiten.“ Sie blickt zurück auf ihre
letzte Herausforderung und sagt:
„Ich habe schnell gemerkt, dass ein
Spielfilm anders funktioniert als
eine Dokumentation. Dramatur-
gisch interessant ist nicht das
Scheitern, sondern ein geglückter
Treck.“ Bis der am Ziel ankommt,
müssen allerdings zahlreiche
Hürden genommen werden. Nicht
nur auf der Leinwand. Sondern auch
bei den Dreharbeiten in Ladakh, wo
aufgrund starker Regenfälle
„Schlammlawinen ganze Berge
wegspülten“, und in den Schweizer
Alpen, wo im Winter 2010 unter
„fast unmöglichen Bedingungen“
die Szenen in Schnee entstanden.
Eine längere Ruhepause wäre jetzt
naheliegend. Doch noch bevor „Wie
zwischen Himmel und Erde“ am
31. Mai ins Kino kommt, hat Maria
Blumencron eine Lesereise mit
Patentochter Chime absolviert, mit
der Arbeit am Drehbuch zu „Das
Wunder von St. Petersburg“ begon-
nen und denkt zusätzlich über einen
Kinderfilm und ein Fairfair-Handels-
projekt nach. „Ich arbeite unglaub-
lich gerne, fühle mich durch das
Schreiben wie genährt“, so das
Energiebündel, das nur aus zwei
Gründen kürzer treten würde.
Erstens, um ihren neunjährigen
Sohn öfter zu sehen, der während
ihrer vielen Reisen von seinem Vater
in Köln betreut wird. Und zweitens,
um auch mal mit ihrem in München
lebenden Freund zu entspannen.
„Der hat mich zu Beginn unserer
Beziehung gefragt, ob ich mir
vorstellen könnte, neben ihm auf
einer Bank unterm Apfelbaum zu
sitzen. Meine Antwort war ‚Das wäre
superschön, aber jetzt noch nicht!’.“
ANTOINETTE
SCHMELTER DE ESCOBAR
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Foto:
David Süderhauf
Maria Blumencrons verarbeitet in
ihren Filmen eigene Erlebnisse