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Städte im Ruhrgebiet waren ein Trauerspiel Ende der 60er. Man sah nur
Wunden. Die Städte sind aber Ausdruck des Gemüts. Manchmal wünschte
ich, München wäre ein bisschen größer, ummehr Zuschauer zu haben. Im-
merhin wollen wir uns mit den Compagnien in London, Paris oder St. Pe-
tersburg messen. Dort gibt es aber mindestens fünf Mal mehr Bewohner,
sodass sie immer ausverkauft sind.
Sind Sie ein Großstadtmensch?
Ja, ich glaube schon. Auch wenn ich vor allem den ruhigen Morgen in einer
Stadt sehr schätze, allein durch das Leben, das immer spät abends zu Ende
ist. Morgens entdecke ich die Stadt immer wieder neu, wenn ich um sechs
Uhr durch die Straßen zum Flughafen fahre. Klar schielt man immer, wel-
che Highlights die anderen Städte haben, aber sehr viele passieren hier.
Manche verpasst man. Viele von uns Stadtmenschen leben nur in der Stadt,
weil sie das Angebot schätzen, das heißt, dieses Sättigungs- oder Glücksge-
fühl ist schon damit gegeben, dass man weiß, manmuss nur zugreifen, man
hat es. Diese Stadt ist aber auch das für mich: Ich kann aus unserer Woh-
nung die Alpen sehen. Also steht immer ein Fernglas bereit. Bei guter Sicht
– ich wohne über dem Herzogpark in einem Hochhaus – steh ich am Fens-
ter und schau mir die Alpen an.
Münchner Eigenarten, die Sie gar nicht mögen?
Das Granteln, wenn es so überhand nimmt, dass es fast zynisch wird. Das
ist für mich nur schwer zu ertragen.
Die Zukunft?
Bis 2016 bleibe ich erst mal Ballettdirektor. Dann sind es 18 Jahre, dass
ich die Compagnie leite. Ich freue mich auf diese Jahre, selbstverständlich,
vor allem auch mit der Junior Company, die mit Konstanze Vernon und
der Heinz-Bosl-Stiftung sowie der Musikhochschule so großartig funktio-
niert. Das Ensemble ist für die Zukunft sehr gut aufgestellt. Und was mich
besonders freut: Dass die Bewerber, ob sie sich nun um Gruppenplätze
oder solistische Verträge bemühen, zunehmend von namhaften Compag-
nien kommen, ob aus Amerika oder Russland. Das zeigt, was für eine Aus-
strahlung unsere Compagnie hat.
Und Ihre persönliche Zukunft?
Das Gastspiel in Indien war wirklich ein besonderes Erlebnis. Ich denke oft
daran, dorthin zu reisen. Seit Jahrzehnten warte ich mit meiner Frau
(Col-
leen Scott ist nach einer langen Karriere als Tänzerin heute Ballettmeisterin.
Anm.d.Red.)
auf den Frieden in Kashmir. Generell möchte ich viel reisen,
ohne permanent die Verantwortung im Hinterkopf zu haben, die mein Be-
ruf mit sich bringt, wie zum Beispiel die für die Einrichtung einer Premiere.
Ich könnte mir auch vorstellen, Kambodscha zu besuchen. Der jetzige Kö-
nig war mein Mitschüler in Prag, also vielleicht ist das auch ein Ziel, das ich
vor Augen habe. Hauptsache ist aber, dass meine Söhne – einer studiert in
Berlin, der andere ist bildender Künstler in London – ihr Leben so im Griff
haben, dass ich mit meiner Frau verreisen kann.
2016 ist also kein Schicksalsdatum?
Vielleicht muss sich jemand um die Heinz-Bosl-Stiftung kümmern. Wir
werden sehen! Man kann langfristig planen im Theater, und trotzdem
kommt es immer anders. Wichtig ist, dass das Bayerische Staatsballett,
das ich die Ehre und Freude und das Glück habe, zu leiten, weiterhin so
präsent ist.
Das Interview führte Barbara Schulz