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THEATER
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Seit zehn Jahren leitet der Oberammergauer Christian Stückl
das Münchner Volkstheater. Und hat es solide als drittes Haus
in der Münchner Theaterlandschaft aufgestellt. Kein Grund zu
feiern, sagt er. Denn eines dürfe man nie sein: zufrieden
Stückls Sturm
und Drang
I
ch halt‘ jetzt ein Plädoyer für den
Erhalt des Theaters. Dann sag
ich, dass ich aber zur Findung des
Intendanten keine Zeit hab – ja,
und dann müssten sie eigentlich
sowieso drauf kommen, dass ich es
selber machen will.“ Das Münchner
Kulturreferat hat verstanden, was
Christian Stückl damals sagen
wollte, und ihn 2002 zum Intendan-
ten des Münchner Volkstheaters
gemacht. „Es war kein Schritt nach
München, sondern einer ins
Volkstheater“, sagt er, für den
München ohnehin „ein bisschen wie
ein Vorort von Oberammergau“ ist.
Als Bub ist er mit der Mama zum
Hosenkaufen nach München
gefahren, als Jugendlicher, weil
dort was los war, dann der Zivil-
dienst und 1991 schließlich eine
Assistenz an den Kammerspielen.
“Sozialisiert bin ich in Oberammer-
gau. Aber ich möchte auch nicht
nur dort leben, es gehört beides
dazu“, erklärt er in saftigem,
ehrlichem bayerischen Dialekt.
Mit einer furiosen Frischzellenkur
holte er das Volkstheater nicht nur
aus der Pleite, sondern auch aus
seiner angestaubten Harmlosigkeit,
nahm ohne Berührungsängste
Stufe um Stufe, sodass das Haus
heute auf Augenhöhe steht mit den
beiden Giganten am Münchner
Theaterolymp, den Kammerspielen
und dem Residenztheater. Es war
also eher ein kleiner Geniestreich,
was Stückl da wie einen Lausbuben-
streich von Ludwig Thoma erzählt.
So weit hergeholt ist das gar nicht,
denn ein wenig Lausbub blitzt
immer wieder auf in seinen fast
schwarzen Augen unter den wilden
dunklen Locken, und nur ein paar
weiße Haare hie und da erinnern,
dass dieser Theaterirrwisch, der auf
der Bühne wie ein Wirbelwind
gestikuliert, inzwischen auch schon
über 50 ist. Spüren kann man es
nicht. Denn er ist nicht leiser
geworden. Wie er sitzt, wie er sich
das Haar rauft, wie er Geschichten
erzählt – da sprühen Funken, und
fast ist es, als käme er sich selbst
und seiner unbändigen Energie
nicht hinterher. Atemlos, nicht nur
weil er Kette mehr saugt als raucht.
Er ist ein Stück bayerischer Urge-
walt, von einer fast kindlichen
Neugier und Begeisterungsfähig-
keit. Entsprechend intensiv und
unbedingt, dabei alles andere als
rücksichts- oder kompromisslos.
Das kann einer gar nicht sein, der
es geschafft hat, mit nur knapp fünf
Millionen Euro Subventionen (die
Kammerspiele und das Residenz-
theater werden mit je 30 Millionen
unterstützt) in einer ehemaligen
Turnhalle Theater zu machen, das
international wahrgenommen wird.
„Aus dieser Einschränkung heraus
kann wahnsinnig viel entstehen,
und das tut es ja auch.“
Bei Stückl wird der Kompromiss
also zur Chance. Zu einer, die Spaß
macht, die die Glut weiter anheizt.
„Manchmal denk ich schon, dass es
auch gut wäre, ein größeres Thea-
ter zu haben. Ich mag diesen Ort
aber. Auch deswegen, weil wir ganz
anders arbeiten müssen. Mit jungen
Leuten, die viel billiger, deshalb
aber nicht schlechter sind.“ Die
Rechnung, auf junge Schauspieler
und Regisseure zu setzen, um auch
ein jüngeres Publikum ins Haus zu
holen, ging auf. Dass das Konzept-
Festival „Radikal jung“, das er 2005
ins Leben rief, eingeschlagen hat
wie ein Blitz, hat seinem ungestü-
men Temperament recht gegeben.