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Foto:
Ralph Taubenberger
F
reiheit“, sagt sie. „Es war immer
die künstlerische Freiheit, die
mich interessiert hat.“ Und dass
dieser Drang vielleicht auch mit
ihrer Kindheit zusammenhänge,
mit dem Leben auf einem Bauern-
hof, mit diesem unglaublichen
Aktionsradius samt entsprechender
Freiheit.
Lisa Wahlandt, in der Süddeut-
schen Zeitung als „Deutschlands
vielleicht vielseitigste Jazzsänge-
rin“ gelobt, ist in einem kleinen
Dorf in Niederbayern aufgewach-
sen, „mit viel Raum rechts und
links vom Hof“. Und wie es scheint,
hat sie ihren musikalischen Akti-
onsradius dem ihrer Kindheit
angepasst. Ihr eigenes Repertoire,
das sind transparent verjazzte
Coverversionen verschiedener
Interpreten, mit denen sie sich als
Meisterin darin erweist, Fremdes
zum Eigenen zu machen, und
sanfte, fast intime Eigenkomposi
tionen. Aber auch rechts und links
davon gibt es diverse andere
Spielfelder, die sie mit federleich-
ter, berührend melancholischer
Stimme bedient: Swing, Blues,
Latin, Bossa Nova – auch Avantgar-
de und Pop, dazwischen „Gute
Nacht Lieder“ und „Marlene“ mit
Liedern der Dietrich. „Eine erschre-
ckende musikalische Bandbreite“,
sagt Wahlandt von sich selbst. Die
zwei CDs aber, „Stay a while“
(2010) und „Wowowonder“ sind
Wahlandt pur. Die Ende April
erschienene „Wowowonder“ zeigt
ihre Weiterentwicklung als Song-
writerin und Künstlerin. „Wir
waren nicht mehr so vorsichtig“,
kommentiert sie. „Wir“, das sind
Lisa Wahlandt und das Trio Elf. Die
drei Musiker tragen Wahlandts
Stimme mit intelligentem, emotio-
nalen Minimalismus: „Ich brauche
kein Orchester, mir reicht ein Ton“.
Also auch hier die Freiheit, singen
zu können, was sich richtig anfühlt.
Musikalische Orientierungslosig-
keit? “ Nein, vielmehr künstleri-
sches Motto: „Für mich war immer
wichtig – und so versteh ich Jazz –,
genau das machen zu können, was
ich gerade denke, was stimmt und
passt. Ob das Drum ’n‘ Bass ist oder
Mainstream – diese Freiheit will ich
haben. Immer schon.“
„Immer“ heißt: seit sie mit Jazz in
Berührung kam. Und das war spät.
Ihre Arbeit im Vorzimmer im
Pfarrkirchner Landwirtschaftsamt
füllte sie nicht aus, eine Trennung
stand an. Musik hatte sie immer
schon gemacht, war im niederbaye-
rischen Raum auch bekannt
gewesen. Über eine Big Band lernte
sie einen Gitarristen kennen und
bearbeitete mit ihm „Beatles-Songs
und alles, was uns unter die Finger
kam und gefiel“ nahezu bis zur
Unkenntlichkeit. Mit zwei von
diesen Liedern traten die beiden zu
seiner Aufnahmeprüfung am
Bruckner-Konservatorium in Linz
an. Man nahm ihn. Und wollte auch
sie. „Die haben mich spontan aufge-
fordert, mich zu bewerben.Und
wirklich: Linz plus Jazz war der
pure Glücksfall. Dort war man
schon damals offen, selbst für Pop.“
Als sie ein dreimonatiges Stipendi-
um nach New York führte, hatte sie
diese Freiheit, die im Jazz liegt,
längst verinnerlicht: „Dort war alles
sehr dogmatisch. Es gab eine
regelrechte Jazz-Polizei, die darü-
ber wachte, wie was zu klingen und
zu sein hat“. Und so kehrte sie
zurück nach Linz, machte den
Abschluss, war von 1996 bis 2003
Dozentin an der Berufsfachschule
für Jazz- und Popularmusik in
Regensburg, erhielt 2002 den
Newcomer-Preis der Süddeutschen
Zeitung und des Bayerischen
Rundfunks. Ab 2003 unterrichtete
sie zwei Jahre in München am
Lehrstuhl für Jazzgesang des
Richard Strauss Konservatoriums.
Und erst einmal wird sie bleiben.
Obwohl sie die Stadt als wenig
karrierefördernd empfindet: „Als
Deutscher musst du wenigstens aus
Berlin kommen. Mindestens
Hamburg. München verkauft sich
schlecht – ist zu ländlich.“ Aber,
lacht sie, „München ist mein Schick-
sal.“ Denn neben innerer Unabhän-
gigkeit ist sie doch ambivalent, was
Leben in der Stadt und auf dem
Land betrifft.
Und wie sie da sitzt, in dem kleinen
Café in der Au, das lange, rotblonde
Haar offen, in Jeans und Pulli, sehr
lässig, sehr urban, erstaunt es,
wenn sie auf die Frage, ob sie
wieder zurückgehen könne aufs
Land, ganz spontan antwortet, die
Vorstellung sei sehr verlockend. Im
Moment genieße sie jedoch die
Möglichkeit der Anonymität. Aber
auch: die Nähe zur Isar – man sei
sofort im Grünen, kenne auch die
Leute – das sei fast schon dörflich
in der Stadt. Und sie sagt: „Ja, diese
Sehnsucht ist immer da. Wird auch
ewig bleiben, weil ich weiß, das eine
ist toll, das andere aber auch, und
ich das Glück habe, beides zu
kennen.“ Nicht nur zu kennen,
sondern auch zu leben. Denn auch
das empfindet Lisa Wahlandt als
das Glück der Freiheit. Die Dinge
nebeneinander stehen zu lassen.
Das erfordert Flexibilität. Und
davon hat Lisa Wahlandt jede
Menge. BARBARA SCHULZ
Wenn man weiß, wie es geht, hat man
die Freiheit zu sagen, ich mach‘s aber anders“