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Fotos:
Werner Reichel, Karen Cop © Haydar Koyupinar
Gerolds Material soll dumm genug
sein, Ideen zu transportieren
ficken“ schreibend, und dabei
schauen wie ein Junge. Widersprü-
che gehören zu ihm und seinem
Programm.
Georg Herold wurde 1947 in Jena
geboren, in Weimar zum Konstruk-
tionszeichner ausgebildet, studierte
Mathematik, lernte Kunst- und
Bauschlosser in Eisenach, war
Facharbeiter, bevor er sich mit 22
Jahren entschloss, Kunst zu
studieren, in Halle. Bis er es nicht
mehr aushielt in der DDR und
versuchte zu fliehen. Dafür saß er
neun Monate hinter Gittern, bis die
BRD ihn freikaufte und Georg
Herold in München an der Akade-
mie der Bildenden Künste weiter-
studieren konnte. Drei Jahre blieb
er hier, bevor er Sigmar Polke
begegnete, seinem wichtigsten
Lehrer und Kollegen, der ihm auch,
so Herold, „in Bezug auf politische
und gesellschaftliche Haltung nahe
war.“ Im ersten Stock stehen ihre
Werke nun nebeneinander: Ziegel
auf Leinwand von Georg Herold,
„It would be nice to have just one“,
neben Polkes aufgespießten Köpfen
auf Stangen, „Liberté, Egalité,
Fraternité“. Gegenüber kommt aus
einem alten Staubsauger Hitlers
Rede zur ‚entarteten Kunst’,
„Laokoon“ betitelte Herold sarkas-
tisch die Installation nach der
Darstellung des Todeskampfs von
Laokoon und seinen Söhnen in den
Vatikanischen Museen in Rom. Das
ist typisch für ihn. Ironie dient
Herold wie Polke seit den 80er
Jahren als Stilmittel. Einige Kunst-
stücke bekamen dadurch Witz, zum
Beispiel die überraschend neu
beschrifteten Bügeleisen, Flaschen
und Dosen. Manche bekamen
unheimlich viel Witz, wie das
„Corpus delirium“, ein Holzschrank,
in dem eine Feinstrumpfhose am
Bügel hängt, mit einer Schrubber-
bürste - obszön sieht das aus!
„Ich suche mir dummes Material,
das keine Fragen aufwirft“, erklärt
der Künstler, denn „Materialien
müssen fähig sein, neue Ideen zu
transportieren.“ Dachlatten, Ziegel,
Zwirn, Lack, Leinen. Auf der
anderen Seite sind da mit der Zeit
leer gewordene Symbole wie die
auseinandergefallenen Hammer
und Sichel aus Ziegel auf Samt
(„Empty Symbol“) oder zur Marke
erstarrte Formen, die Georg Herold
neu auflädt, die Kaviardose, die nun
Nivea verkauft, etwa. Wobei wir bei
seinem Lieblingsmaterial wären,
dem Kaviar. Er inszeniert ihn als
„Russisch Kokain“ auf einem
Schminkspiegel, kleckert das
Luxusgut aufs „Hungertuch“ und
bringt Kaviar großformatig, mit
breitem Pinselstrich in Acrylfarbe
in Schwingung, an eine Frau
erinnernd, die eine Handtasche
schwingt. Faszinierend schaut das
aus, verstörend wirkt dabei, wie
verschwenderisch die wertvollen
Stör-Eier in Farbe schwimmen. So
hält Herold den Verschwendern seit
1990 den Spiegel vor. „Humor hat
seine Grenzen“, sagt er, seit 1999
Professor für Bildhauerei an der
Kunstakademie Düsseldorf.
Das Ehepaar Brandhorst sammelt
seine Werke seit den 80er Jahren.
50 weitere, auch ganz neue Arbei-
ten, zeigt „Multiple choice“ bis 2.
September. Herold hat die Ausstel-
lung selbst mitgestaltet, mit seiner
Kunst einen Dialog begonnen, zum
Beispiel mit Werken von Warhol,
Kounellis und Beuys, nicht nur mit
Polke, dem vor zwei Jahren verstor-
benen Freund. Dazu werden
Führungen veranstaltet, am 17., 24.
und 31.7., jeweils um 15 Uhr . Am
4.8., 15 Uhr, spricht Stefanie
Manthey über Herolds „Formen des
Protests“. Und am 10. Juli, 19 Uhr,
ist „All about me“ höchstpersönlich
aus Herolds Mund zu erfahren, im
Künstlergespräch mit Armin
Zweite.
KAREN COP
Zwei Arbeiten Herolds: „Ohne Titel“ und „Blühendes Leben“ (2009)