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Foto:
Marcus Schlaf
E
noch zu Guttenberg also. Ja, der zu Gut-
tenberg. Nein, nicht der Sohn – und da-
mit soll das Vater-von-Thema auch schon
erledigt sein. Denn mag Enoch zu Gut-
tenberg auch ein politischer Kopf sein, in
erster Linie ist er Musiker, Intendant,
Umweltschützer, wie der Untertitel sei-
ner im letzten Jahr erschienenen Biographie lautet. Er
sagt von sich selbst, er sei kein einfacher Mensch. Und
man weiß, seine Zeit ist knapp. Er hat ein paar intensive
Konzertwochen hinter und vor sich, außerdem habe an
diesem Morgen seine Frau, Dirigentin wie er, bulgari-
sche Sänger mit nach Guttenberg gebracht, zum Vorsin-
gen. Nun ist er nach Neubeuern gekommen, um mit der
seit 1967 von ihm geführten Neubeuerner Chorgemein-
schaft zu proben, einem Laienchor, aus dem er einen in-
ternational renommierten Chor gemacht hat. Daneben
leitet er seit 1997 das Orchester der KlangVerwaltung,
das längst zu den Spitzenorchestern der Welt zählt. Er
füllt, obwohl sich an ihm die Geister scheiden, seit vielen
Jahren die Konzertsäle in aller Welt mühelos. Ergebnis
einer konsequenten Karriere, die er zunächst gegen den
Willen des Vaters, Familienoberhaupt im wörtlichen Sin-
ne und parlamentarischer Staatssekretär unter Kiesin-
ger, begonnen hat. Komponierend, vierjährig, unter der
Bettdecke. Konzert- und Chortätigkeit selbst dann noch
heimlich, als er schon in München studierte. Bis der Va-
ter ihm nach einem Konzert öffentlich Beifall und das
Placet erteilte, den für ihn einzig wirklich sinnvollen und
sinngebenden Weg weiterzugehen.
Jetzt hat er sich Zeit genommen, um über sich, die Musik
und eines seiner Projekte zu sprechen: die Herrenchiemsee
Festspiele, deren Intendant er seit 2001 ist. Zusammen
mit Klaus Schönmetzler, Dramaturg und „geistiger Faden
der Festspiele“, wie zu Guttenberg ihn nennt. Er selbst sei
eher der Ausführende, sagt er, als er sich setzt, ein in Amt
und Würden ergrauter Herr mit lebhaften Augen, der im
Lauf des Gesprächs immer jünger zu werden scheint. Mag
sein, dass es daran liegt, dass ihm das Stillsitzen offenbar
schwerfällt. Sein Körper, sein Geist, das scheint alles unter
Spannung zu stehen. Die nichts mit seinem überfüllten
Terminkalender zu tun hat.
Dass er sich mit so ausgesuchter Freundlichkeit und Be-
redsamkeit auf das Gespräch einlässt, beweist noch ein-
mal die Leidenschaft für seine Themen. Die getragen
werden, das spürt man, von der Liebe. Zu seiner Familie,
seiner Heimat. Zugleich aber auch von der Verzweiflung.
Über den verloren gegangenen Glauben und die Welt
oder das, was aus ihr geworden ist. Und genau dort be-
ginnt das Gespräch.
Herr zu Guttenberg, Sie zitieren oft aus der Bibel. „In
meines Vaters Haus sind viele Wohnungen“ beschreibt
ganz treffend Ihr Leben. Sie kümmern sich um vieles
– auch um die Energiefrage.
Das sind Belange, um die wir uns alle zu kümmern ha-
ben, damit dieses bisschen Welt überlebt. Während des
Hitlerwiderstands haben einfache Leute ihre Familien
und ihre Existenz riskiert. Das fehlt mir im Hier und
Heute. Man brüstet sich, endlich die Atomkraft vom
Tisch zu haben. Mit der gleichen Euphorie aber zerstört
man jetzt die letzten deutschen Landschaften mit Photo-
voltaik und Windrädern. Ich bin unbedingt für alterna-
tive Energie, aber man kann auf diese Art und Weise
dann nicht wiederum die Umwelt zerstören.
Haben Sie eine Lösung?
Warum nicht einfach sparen? Man braucht zwei Atom-
kraftwerke allein, um Standby-Geräte zu speisen. Rech-
nen Sie mal, wie viele Windräder das sind. Und nur da-
für, dass sich der deutsche Hintern am Abend nicht
erheben muss, um seinen Fernseher auszuschalten, soll
ich meine Heimat zerstören lassen? Abstrus ist das. Das
Industriewachstum wird diese Welt zerstören. Im Krieg
wurde Brot rationiert. Warum kann man keine Fernrei-
sen rationieren? Warum gibt es bei uns keine Geschwin-
digkeitsbeschränkung? Das ist doch krank! Wir müssen
diszipliniert mit unseren Restressourcen umgehen.
Sie haben mit ihrer zweiten Frau zwei kleine Kinder.
Ein Hauch von Optimismus in der apokalyptischen
Grundhaltung?
Nein! Es ist ganz furchtbar. Ich liebe diese Kinder über
alles, aber die Vorstellung, was auf die zukommt, bringt
mich an den Rand des Wahnsinns. Weil ich mir sicher
bin, dass die das, was wir jetzt verschulden, ganz furcht-
bar abkriegen werden.
Und dennoch haben Sie sich bewusst noch einmal für
Kinder entschieden?
Nun, wenn man eine Italienerin zur Frau hat … (lacht).
Und auf der Welt ist eben nicht alles rational. Und so
versuchen wir also, die Kinder zu verantwortungsbe-
wussten Menschen zu erziehen, wie ich das auch mit
meinen Großen getan habe. Bei Paulus heißt es: „Weil
du aber lau bist ...“ Ich hoffe, sie werden Menschen, die
nicht lau sind. Denn mit lau sein kann man der Welt
nicht begegnen.
Da sind Sie selbst das beste Vorbild. Sie gelten als ei-
genwilliger Interpret.
Die Musik krankt daran, dass Interpreten sich oft gegen-
seitig kopieren. Als die FAZ einmal schrieb, der Gutten-
berg macht das nicht, hat mich das gefreut. Alles, was
Mode ist, ist falsch. Ich muss Verdi aufführen oder