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Auch den Englischen Garten möchte Christa Müller
nicht zum Acker umgraben: „Das wäre ja Quatsch“, so
ihre trockene Entgegnung, denn Erholungsflächen wür-
den ebenfalls gebraucht. Christa Müller ist kein Mensch,
der anderen die eigene Meinung aufdrängt. Sie denkt
einfach weiter. An die Zukunft unserer Städte.
Wie die aussieht? Da muss sie nicht lange überlegen:
„Die Trennung von Stadt und Land wird nicht mehr voll-
zogen. Man muss kein Aussteiger werden, sondern kann
das Beste aus beiden Welten verbinden.“ Sie sagt auch:
„Die Städte werden grüner werden müssen“. Ihre Beto-
nung liegt auf „müssen“. Keine Option, sondern Not-
wendigkeit. Konkret könnte das so aussehen: „Häuser
werden zu Energieproduzenten, auf Flachdächern ent-
stehen Treibhäuser, die die Abwärme nutzen. Grün auf
Dächern wird aber mit Solarzellen auf den Dächern kon-
kurrieren. Es wird mehr in der Stadt angebaut, aber auch
in einer stadtnahen Landwirtschaft.“
Beim urbanen Gärtnern geht es um mehr als um Ökolo-
gie und Selbstversorgung. Es geht auch darum, „sich die
Freiflächen in der Stadt zurückzuerobern“. Die Soziolo-
gin ist fasziniert vom ökologischen, aber auch kulturel-
len und sozialen Potenzial, das dabei freigesetzt wird.
Christa Müller ist auf dem Land groß geworden, in ei-
nem kleinen Ort in Nordrhein-Westfalen. Der Vater war
Schneidermeister, die Mutter Bäuerin. Selbstverständ-
lich gab es einen Gemüsegarten. Uninteressant und
langweilig fand sie den, drückte sich vor der Gartenar-
beit und „fand das alles ziemlich uncool“. Obwohl sie
sich als „Subsistence Native“ sieht, als jemand der in ei-
nem Selbstversorgerumfeld aufgewachsen ist, könne sie
erst jetzt wertschätzen, was die Eltern damals leisteten.
Und sagt: „Ich habe eine große innere Wertschätzung
für diese Arbeit.“ Die ist auch im Gespräch spürbar.
Im urbanen Garten ist Pragmatismus angesagt. Es geht
darum, einfach mal zu machen. Christa Müller impo-
niert die Unkompliziertheit, mit der die neue Generati-
on die Dinge anpackt: „Die Devise heißt, wir sind zwar
Dilettanten, aber wir lernen voneinander. Ich hole mir
die Infos von anderen und tausche mich aus.“ Auf diese
Weise kann das gesammelte Wissen von allen umgesetzt
werden. Und das sehr schnell. Die Internet-Idee von
Open Source, die öffentlich zugängliche Wissens-Quelle,
wird beim Gärtnern auf das echte Leben übertragen. Für
Christa Müller liegt hier die Zukunft!
Gleichzeitig werden auch wieder Räume jenseits der di-
gitalen Welt gebraucht, für sinnliche Erfahrungen. „Die
Hände wieder in die Erde stecken,“ sagt Christa Müller,
„ich denke, es ist Bestandteil der menschlichen Natur,
dass man das will.“ Weltweite Vernetzung und Erdung –
der Garten wird so realisiert, dass er beides ermöglicht.
Ein neues Buchprojekt hat die Stiftung bereits in Pla-
nung. Das Thema ist die neue urbane Produktivität. Wie
sieht es damit in München aus? Kreative Ressourcen
scheint es genügend zu geben. Aber der Platz dafür, spe-
ziell in München, ist eher rar, oder? Christa Müller zieht
leicht die Augenbrauen hoch, und sagt dann einen Satz,
ganz lässig: „In 30 Jahren ist mit dem Wachstum in
München auch Schluss“.
Doch das kommt später. Heute wünscht sie sich für Mün-
chen: „Mehr Frei-Räume. Nicht nur fürs Gärtnern. Auch
mehr Infrastrukturen zum Selbermachen, Werkstätten.“
Mit der Möglichkeit, dass sich alle Leute um den Ort, an
dem sie leben, selber kümmern. Die Aussichten dafür sind
gut. Die Gartenprojekte laufen bereits mit Unterstützung
der Stadtverwaltung. Sie hilft, Grundstücke für Gärten zu
finden. Das kommt den Initiativen zugute. ChristaMüller
schaut noch einmal auf das bunte Treiben, auf die Macher
von „o‘pflanzt is!“ und wagt eine Prognose: „Wenn ich das
hier sehe, freue ich mich auf die Zukunft, die unsere
Städte haben werden.“
BARBARA WEBINGER
In Zukunft hat jeder
Stadtbewohner sein
eigenes Gemüsebeet
Ackerbau und Abenteuerspielplatz. Christa Müller beim
Start von „o‘pflanzt is!“ in München, einem von 130
urbanen Gärten, die bundesweit entstehen: „Der Garten ist
Basis der Selbstversorgung und Kommunikationsmedium.“
Foto:
Karen Cop