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Foto:
Majestic / Mathias Bothor
F
ast 30 Grad sind es im Schatten.
Dennoch möchte Marianne
Sägebrecht nicht im Straßencafé an
der Leopoldstraße sitzen. Sondern
lieber drinnen im Bachmair Hofbräu,
„weil wir da geschützter“ sind. Denn
seit ihrem Durchbruch mit „Out of
Rosenheim“ vor 35 Jahren ist die
bayerische Mimin regelmäßig im
Kino oder Fernsehen zu sehen, und
ihr Wiedererkennungswert ist
entsprechend groß. Starallüren hat
sie trotzdem nicht. Als sie einen
Eiskaffee bestellt, den der Kellner
aber nicht auf der Karte hat, sattelt
sie unkompliziert auf zwei Kugeln
Vanilleeis und eine Tasse Kaffee um.
Auch ansonsten wirkt sie unprätenti-
ös: Die langen Haare hat sie zu einem
schlichten Pferdeschwanz gebunden.
Dazu trägt sie über ihrer fülligen
Figur ein schwarz-weißes Sommer-
kleid nebst leichter Strickjacke, unter
der ihre kräftigen, nach zupackender
Arbeit ausschauenden Hände
hervorragen. Und auch ihrem
Gesicht mit den blitzblauen Augen
und roten Wangen sieht man an,
dass sie viel an der frischen Luft ist.
Keine Frage: Diese Frau ist in ver-
schiedensten Welten zuhause.
Welche das sind, schildert die
67-Jährige, aus der die Sätze nur so
heraussprudeln, in den nächsten
zweieinhalb Stunden. Viel Raum
nimmt dabei ihre Kindheit am
Ostufer des Starnberger Sees ein, wo
sie trotz teilweise widriger Umstände
durch eine Großfamilie und vor
allem durch ihre Mutter „ganz viel
Sicherheit und Kraft“ bekam. Und
außerdem in zwei entscheidenden
Richtungen geprägt wurde: Zum
einen erbte sie vom Opa, der als
Gärtner „alles über Pflanzen von
Kräutern bis zu Pilzen“ wusste, die
Liebe zur Natur. Zum anderen
entdeckte sie – zunächst auf eigene
Faust, später in einer Kirchen-Grup-
pe und auch in der Schule – die Lust
amTheaterspielen. Was danach kam,
mag Außenstehenden als Umweg
erscheinen. Marianne Sägebrecht
aber versteht ihre Ausbildung als
Medizinisch-Technische Assistentin
ebenso wie die Jahre als Chefin von
Kleinkunstlokalen und Künstlerknei-
pen als Möglichkeit, weitere Facetten
ihrer selbst auszuleben. Sie habe in
der Zeit danach in Lokalen wie dem
Münchner Mutti Bräu Menschen
vom Schüler bis zur Gay-Community
um sich scharen, Lesungen und
Konzerte veranstalten oder eine
„Opera curiosa“ auf die Bühne
bringen können. Kurzum, es war ein
„Geben und Nehmen“. Konsequente
Fortsetzung dieser Funktion war und
ist bis heute ihre Arbeit vor der
Kamera, für die Percy Adlon das
Multitalent entdeckte: über 30 Filme,
in denen sie immer wieder eine Rolle
überzeugend verkörperte – die der
energisch-erdverbundenen Frau, die
sich nicht unterkriegen lässt. Mit der
brillierte sie schon 1987 als urbayeri-
sche Jasmin Münchgstettner in „Out
of Rosenheim“, die ein dahindüm-
pelndes Café in der kalifornischen
Wüste auf Trab bringt. Und auch in
„Omamamia“, so der Titel ihres
jüngsten, am 1. November anlaufen-
den Films, spielt sie eine willensstar-
ke Seniorin, die lieber zu einer
Papstaudienz als ins Altersheim
möchte und auf ihrem Abenteuertrip
zum Vatikan ihren Weg voll unerwar-
teter Wendungen geht. Für Marianne
Sägebrecht war diese Generationen-
Komödie von Tomy Wigand eine
Geschichte nach ihrem Geschmack.
Denn zum einen muss für sie „ein
Film immer eine Wandlung haben“.
Außerdem gefalle ihr der Mut, mit
demOma Marguerita ihre Träume
verwirkliche. Und dann gaben ihr die
Dreharbeiten auch noch die Möglich-
keit, mit Giancarlo Giannini zusam-
menzuarbeiten, der eine Reihe
berühmter Kollegen und „toller
Menschen“ von Michel Piccoli bis
John Malkovich komplettiert.
Doch auch wenn sie es schätzt, mit
solchen Kollegen vor der Kamera
oder auf dem roten Teppich zu
stehen: Genauso wohl fühlt sich
Marianne Sägebrecht „hinter der
Hecke“ in Schäftlarn. Wo sie umge-
ben von fünf Katzen und einem
großen Garten ihr breit gefächertes
Wissen in Bücher wie „Meine
Jahreszeiten“ oder „Auf ein prima
Klimakterium!“ für den Nymphen-
burger Verlag verpackt, nachts Bilder
malt oder Kräuterelixiere zusammen-
mischt. Diese Aktivitäten will sie auf
jeden Fall weiterverfolgen – an
anderer Stelle. Denn weil sich jetzt
wieder die „Hummeln“ in ihr rühren,
sucht sie nach einem Platz auf dem
Land, um dort einen Mustergarten
inklusive Gewächshaus und Hühner-
stall anzulegen. Teil dieses Traums ist
auch ein Lädchen für Naturprodukte.
Und eine Tafelrunde, bei der zwei,
drei Mal imMonat bis zu 60 Perso-
nen von Gastköchen bewirtet werden
sollen. 2013 hofft sie, sich einen
weiteren Wunsch zu erfüllen: eine
Reise nach Surinam. Schon als
kleines Mädchen hat sie sich nach
diesem südamerikanischen Land
gesehnt. Zur Ruhe setzen wird sich
Marianne Sägebrecht also noch lange
nicht. Sondern dafür sorgen, dass ihr
Leben so „reich“ bleibt wie bisher –
an Erfahrungen, die ihr wie jede ihrer
Falten „willkommen“ sind.
ANTOINETTE
SCHMELTER DE ESCOBAR
Ein reiches Leben zwischen Theater, Film,
fünf Katzen und einem großen Garten