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ach, was waren das für Zeiten, als die Sen-
ta und der Thomas Gottschalk mit Gattin
Nofretete in Kays Bistro Bussis austauschten,
die Tina Turner reinschneite und der Mick, der Jagger,
am Flügel hockte und rockte. Damals, in den 80ern, als
der Dietl Helmut „Kir Royal“ drehte und die TV-Serie
über den Klatschreporter Baby Schimmerlos so nannte,
weil die Schickeria Crème de Cassis mit Champagner
trank. Großartig war damals, dass dem Rest des Landes
nur heiße Luft aus den Mündern entwich – den steifen
Preussen halt, die mit der Bussi-Bussi-Gesellschaft ganz
München verpönten, und dann doch zum Poussieren an-
reisten und sich aufregten, dass sie nicht ins P1 kamen,
weil man ihnen schon von weitem ansah, dass sie keine
Ahnung haben, wie prickelnd das Leben mit den richti-
gen Perlchen sein kann.
Tja, der Kay, der steht ja jetzt in der Schmankerlgasse
von Karstadt. Und Dietls „Zettl“-Aufguss von „Kir Royal“
versuppte ziemlich zügig in der Bedeutungslosigkeit. Im
Kinofilm waren nicht nur das Getränk und der unbusse-
lige Drehbuchautor Stuckrad-Barre falsch, sondern auch
die Stadt Berlin. Sowas funktioniert halt nur bei uns, in
unserem selbst gebastelten Münchner Neo-Italien mit
Heimatcharme. Dafür muss man vor allem dem Kay
nochmal danke sagen, weil sein Beitrag zur Verbreitung
des münchnerisch-italienischen Lebensgefühls bis heute
nicht zu unterschätzen ist. „Tutto bene?“, fragt denn
auch die Kellnerin im Backspielhaus, plaudert dann
munter italienisch weiter und ist damit keine Ausnahme.
Der Italiener bei mir um die Ecke hat ebenfalls längst
begriffen, dass er sich definitiv nicht mit Fremdspra-
chenkenntnissen einschleimen muss, weil er sich da-
rauf verlassen kann, dass der typische Münchner
Pseudo-Italiener sich seinerseits anbiedert. Echte Mün-
chner Italiener – es sind immerhin um die 22.000 –
haben den Spruch von der nördlichsten Stadt Italiens
inzwischen ernst genommen. Sie haben ja recht! „Ciao,
Herzi!“ war gestern. Inzwischen begrüßen wir uns mit
Küsschen, verabschieden uns mit „Ciao“ und lassen das
„Herzi“ weg. Angesagte Gastronomen nennen ihre
Lokale in demütiger Bunga-Bunga-Landliebe „Brenner“
oder „Riva“, auf der Speisekarte stehen „Minestrone“,
„Tortino“ oder „Caprese“, die deutsche Erklärung
kleingedruckt drunter, so dass wir uns fühlen wie ein
Tourist hinterm Brenner. Selbst in urigen Biergärten gibt
es heuer „Aperol Sprizz“. Was natürlich kein Wunder ist,
wenn Lokalmatadore und Urgesteine des polternden
Grantlertums wie der Satiriker Gerhard Polt seit Jahr-
zehnten versuchen, in Italien zu Dolce-Vita-Könnern
oder gar Winzern zu werden.
Ich könnte wetten, dass auch Sie wie ich den Münchner
Sommer mit Aperol-Sprizz versüßen, jenem Getränk,
das noch greller leuchtet als die Sonne, wenn sie imMeer
bei Capri versinkt. Okay, da Soda, Mineralwasser oder
billiger Prosecco zugegeben wird, kullert der Mix mit
Aperol robuster die Kehle runter als Champagner. Passt
gut zum aktuellen Lifestyle mit mehr und weniger feinen
Events als früher. Im Zweifel kauft man Schampus von
Aldi, für „Aperol Royal“. Der neue Kay heißt Ugo
Crocamo, ist echt Italiener, und darf Pizza im P1
verkaufen und sie feiern lassen, als wäre sie eine Hostie
aus Rom. Zugegeben, seine Gäste passen gut zum Land,
das als einziges eine Sport-Tageszeitung druckt. Der
Boris busselt bei H’ugo’s am Promenadeplatz, Ribéry
und Luca Toni kommen vorbei. Ein besonders trauriges
Beispiel, wie man dem alten Münchner Glamour den
Todesstoß versetzen kann wie höchstens Berlusconi
dem Image von Italien, zeigte allerdings Thomas
Gottschalk. Für den Umbau der Pizzeria griff der
Ex-Schickeria-Veteran vor klickenden Kameras zum
Vorschlaghammer, als Ugos Gastarbeiter. Das haben wir
jetzt davon. Ciao, ciao, Monaco mio!
szene-Scout
98
Aperol Royal, Sepp-o mio!
Kir Royal war
vorgestern.
Jetzt wird Aperol
geschlürft!
Szene-Scout Karen
Cop über unser
fast-italienisches
München