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etten, dass Sie nach Jan
Hafts letztem Film nie
wieder so wie früher durch einen
Wald spazieren? Das liegt nicht
etwa daran, dass Sie sich fortan vor
Räubern oder anderen Bedrohun-
gen fürchten müssten. Vielmehr
werden Sie diesem „grünen Wun-
der“ mit wesentlich offeneren
Augen begegnen und Dinge wahr-
nehmen, die Sie zuvor übersehen
hätten: Schmetterlingsraupen von
exakt der Farbe und Struktur jener
Blätter, auf denen sie gefräßig
umherkrabbeln. Vermeintlich
ziellos umherwuselnde Ameisen-
völker, die in Wahrheit straff durch-
organisiert sind und Feinde wie
winzige Soldaten mit gezielten
Säureschüssen abwehren. Uner-
müdliche Mistkäfer auf der Suche
nach Kotkügelchen größerer
Pflanzenfresser, weil ihnen deren
Hinterlassenschaften als Nah-
rungsquelle dienen und gleichzeitig
für eine Art Müllabfuhr gesorgt ist.
Wird man so für das „Unbekannte
im Bekannten“ sensibilisiert, geht
Jan Hafts Rechnung auf: „Vor
unserer Haustür gibt es spannende
Lebensräume, über die es so viel zu
erzählen gibt“, begeistert sich der
1967 geborene Bayer. Diese
Faszination ist nicht erst seit
Gründung der Firma nautilusTV
1996 seine Antriebsfeder. Schon als
Kind fahndete er rund um sein
Elternhaus „im Speckgürtel von
München“ unter Steinen oder in
Tümpeln nach allem, was da
kreuchte und fleuchte. Das dazu
passende Hintergrundwissen las
sich der glühende Heinz–Sielmann-
Fan an, tauschte sich in Vereinen
mit Gleichgesinnten aus und
studierte schließlich Geologie,
Paläontologie und Biologie. Letzte-
res allerdings als frustrierende
Erfahrung. „Die wenigsten meiner
Kommilitonen waren so naturbezo-
gen wie ich. Und statt der Vielfalt,
die ich mir erhofft hatte, war
Spezialisierung gefragt“, erinnert
sich Haft. Statt brav bis zum
Abschluss durchzuhalten, habe er
deshalb mit geliehenem Equipment
einen Demo-Film über Käfer
gedreht und mit einem „viel zu
langen Brief“ an alle deutschspra-
chigen Fernsehredaktionen ver-
schickt, die als Auftraggeber infrage
kamen. Unerwartet positives Echo
kam gleich von drei interessierten
Redaktionen, die sich sowohl beim
NDR als auch beim BR zu konkreten
Projekten entwickelten.
Was als mutig-naiver Testballon an
den Start ging, hat sich mittlerweile
zu einem der renommiertesten und
erfolgreichsten Unternehmen der
deutschen Naturfilm-Branche
entwickelt. Auf einem Einödhof bei
Dorfen, nordöstlich von München,
ist ein zehnköpfiges „Rudel von
Menschen“, zu dem auch Hafts
Ehefrau Melanie als „organisatori-
sches Rückgrat“ gehört, mit Pla-
nung, Durchführung und Postpro-
duktion mehrerer Filmprojekte
gleichzeitig beschäftigt; momentan
zum Beispiel über Moore, Stein-
und Seeadler, den Nationalpark
Berchtesgaden, den Rhein und über
Gärten. „Mir wäre es lieber, mich
auf ein Thema konzentrieren zu
können“, räumt Jan Haft ein, den
diese Vielfalt manchmal durchaus
„überwältigt“. Weil aber Naturfilme
„deutlich schlechter“ bezahlt
werden als andere, müsse er
mehrgleisig fahren. Obwohl er
notgedrungen viel Zeit im Home-
office verbringt, will er sich die
Außendrehs nicht nehmen lassen.
Bei dem Film „Das grüne Wunder –
Unser Wald“ zogen sie sich über
sechs Jahre hin. Sie fanden an 70
Orten statt. Für Haft bislang die
aufwändigste Produktion. Sie ist
seit dem 13. September im Kino zu
sehen und erscheint demnächst als
DVD. Haft hat keine Mühe ge-
scheut. Filmt Fauna und Flora
sowohl aus der Frosch- als auch aus
der Vogelperspektive, verwandelt
Zwerge durch Großaufnahmen in
Goliaths und hält Ausnahmesituati-
onen wie eine Fuchsbaby-Geburt im
Bau oder das Losfliegen zarter
Fichtensamen in Zeitlupe fest.
Tagelang harrt er mit seinem Team
in Tarnzelten aus, montiert Hoch-
leistungskameras, setzt spezielle
Schlauch- und Endoskop-Optiken
ein, die Erdhummeln durch ihre
Höhle begleiten und in das Innere
eines Pilzes schlüpfen können.
Anstrengend und nervig kann die
Jagd nach möglichst „schönen
neuen Bildern“ ausfallen, wenn der
dreifache Vater bei Nieselregen
oder Eiseskälte ausharren muss.
Dennoch empfindet er seine
Aufgabe als „großes Privileg“, die
ihm regelmäßig bewegende
Glücksmomente beschert. Zum
Beispiel, wenn er Birkhühner filmt,
die bei rosa Morgenlicht Konkur-
renzkämpfe ausfechten. Oder
XXL-Hirschkäfer, die er „sehr
charismatisch“ findet. In solchen
Momenten steht Jan Haft wieder
einmal staunend vor sensationellen
Naturschauspielen – exakt jenen, die
später seine Zuschauer verzaubern.
ANTOINETTE
SCHMELTER DE ESCOBAR
Infos und Sendetermine von Jan
Hafts Filmen:
Militante Ameisenvölker, Erdhummeln
und charismatische Hirschkäfer
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