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Leben in der Stadt
Gourmet-Experten
Schön, dass es Männer gibt, die an den Feinkost-Theken
dieser Welt zu Hause sind und sich als die wahren
kulinarischen Feingeister fühlen. Schade nur, dass sie
das überall kundtun müssen, findet Barbara Schulz, die
manchmal entnervt das Weite sucht
A
uf den Bahamas ist jetzt also Vollmond. Ach
so. Wollte ich das wissen? Nein, genauso we-
nig wie ich wollte, dass jämmerliche Auf-
schneider mein zweites Wohnzimmer, die sensationell
bescheidene Trattoria von Toni verseuchen. Und sich
leider nicht auf Tischlautstärke beschränken können.
Kein Goldkettchen, kein Einstecktuch – die Ich-bin-
Genießer-Fraktion trägt heute Hornbrille zum grauen
Kaschmir. Gockelt aber nach wie vor gerne. Auch und
vor allem auf kulinarischem Gebiet, schließlich ist Es-
sen und Trinken bekanntlich der Sex des Alters.
Der wahre Luxus liege in den einfachen Dingen, hörte
ich kürzlich zwei in die Jahre gekommene Herren über
Sorten wie Bamberger Hörnchen, La Ratte und die
gute alte Linda am Kartoffelstand des Viktualienmark-
tes salbadern – selbst schlichte Gemüter erahnen das
philosophische Potenzial der Diskussion. Die beiden
waren ein klarer Fall von Basis-Hedonisten – die
Schlimmsten von allen. Ganz pur sei die Linda am bes-
ten, mit etwas Butter und Fleur de Sel. Ob nun Sel
Guérande oder Noirmoutier – verschiedene Abbauge-
biete, wie ich seit meinem Bretagne-Urlaub weiß – da-
rüber ließe sich noch streiten. Nicht aber darüber, so
erfährt man, dass die schlichte, kulinarische Schönheit
ihre Vollendung erreiche, sobald eine weiße Trüffel
aus Alba eine geradezu lüsterne Liaison mit der Kar-
toffel einginge, um gemeinsam dem Höhepunkt entge-
genzufiebern und dem Gaumen einen sinnlichen Veits-
tanz zu bescheren. Hier wird verbaler Orgasmus
geprobt, keine Frage.
Nicht weniger fundamentalistisch geht es mittags zur
Austernsaison in den bekannten Delikatessengeschäf-
ten zu. Ganz großes Kino! Hier fachsimpeln die Kenner
laut schlürfend über die Sorten Bouzigues, Gravettes
d‘Arcachon oder Belons – „letztere ja völlig überbewer-
tet …“ Ich, meine Herren, freu mich über die eine wie
die andere, Hauptsache frisch ist sie!
Ähnliche Kostbarkeiten männlicher Eitelkeit gibt’s üb-
rigens gratis an fast allen einschlägigen Feinkost-
Kühltheken der Stadt, vorzugsweise beim Geflügel. Sie
können drauf wetten: Irgendwann kommen zwei zu-
sammen, die darüber debattieren, ob nun ausschließ-
lich ein Sauternes zur foie gras serviert werden dürfe,
oder ob es ein anderer Süßwein vielleicht auch täte.
Wenn ungünstigerweise gerade Gänsestopfleber, aber
kein Sauternes zur Hand sei.
Sieht man über die Ignoranz bezüglich Tierquälerei
mal hinweg, bescheren solche Gespräche doch mitun-
ter Sternstunden: So, als kürzlich einer besser vorbe-
reitet gscheidhaferlte als der andere! Weil er – vermut-
lich ebenso zufällig wie ich – wusste, wie ein Sauternes
entsteht (eine bombensichere Millionenfrage bei Gün-
ther Jauch). Sein beiläufig gemurmeltes „Jajajaja,
Botrytis Cinerea, ein schlichter Schimmelpilz, und
dann so eine Eleganz …“ ließ den anderen Schaum-
schläger müde in sich zusammenfallen!
Was allerdings nur bis zur Kobe-Rind-Theke dauerte,
bevor sie wieder bei der unumstritten heiligen Kuh
ambitionierter Angeberei waren, der Königsdisziplin
sozusagen: Wein, Whisky, Cognac. Nach der Lektüre
einer Wein-, Whisky- oder Cognac-Fibel benehmen
sich Männer nämlich, als wären sie mit Connaisseur-
Windeln gewickelt worden. Was sie offenbar berech-
tigt, ermüdende Monologe über Tannin und Barrique,
Terroirs und Jahrgänge zu führen.
Fairerweise muss man festhalten: Es gäbe ein paar
herrliche Anekdoten weniger, würden die Herren kuli-
narisch nicht so auf den Putz hauen. Ich erinnere mich
gern an den Gast eines Abendessens, der erzählte, dass
einer seiner Freunde einen 1983er-Château d’Yquem
zur Brust genommen hatte. Ja, und? Der Mann hätte
schließlich einen 29-jährigen Wein weit vor seiner Zeit
geköpft! „Das ist Babymord!“ schloss er seine Rede und
schaute erwartungsvoll in unsere Runde. Pech für ihn:
Ich hatte dieselbe Kolumne mit demselben Schlusssatz
gelesen! Nur, dass der Autor leider ein anderer war ...
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