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Das große Schiff passt nur knapp in den Fjord. Es ist so
warm in dieser Region, dass sogar Aprikosen wachsen
können. Ich steige in Geiranger in einen Bus, der mich
binnen kurzer Zeit vom Sommer in den Winter bringt.
In den nahen Bergtälern gedeihen Erdbeeren besonders
gut – die Sonne scheint hier länger als in Italien. In den
Bächen sind Lachstreppen zu entdecken, und auf den
Hausdächern der Ferienregion wachsen Bäumchen. Un-
terwegs zu den „Trollstigen“, sehr steilen Serpentinen,
liegt der Schnee meterhoch. Die Ausblicke sind atembe-
raubend und nur im Sommer möglich. Im Winter wer-
den hier minus 40 Grad gemessen.
Am dritten Tag steuert Kapitän Marthinsen Trondheim
an. Ich besuche die einzige gotische Kathedrale Norwe-
gens. Ihre Glas-Rosette im Eingang erinnert an Notre
Dame in Paris und Chartres. Der „Nidaros-Dom“ gilt als
Nationalheiligtum, er wurde über demGrab des Heiligen
Olav gebaut, dem Schutzpatron Norwegens. Wir sind
jetzt auf dem 63. Breitengrad, was ziemlich genau der
Höhe Alaskas entspricht. Die Norweger sitzen in Som-
merkleidung in Cafés, der Golfstrom ist nah. Bald über-
queren wir den Polarkreis. Genauer gesagt: Um 7.30 Uhr
gleiten wir auf 66° 33’ Nord rüber, nach einer silbrig hel-
len Nacht, bei strahlend schönemWetter, zwischen Nes-
na und Ornes. Die Gäste an Bord sollten vorab erraten,
wann genau der Übertritt in das Reich der Mitternachts-
sonne passieren würde. Ein nicht ganz echter Neptun ist
zuständig für die Polartaufe und schüttet Eiswasser (mit
Würfeln!) aus einer Kelle über die Köpfe der Passagiere.
Frauen müssen damit rechnen, dass sie gezielt im De-
kolleté landen. Brrr!
Ich flüchte lieber auf ein kleines Boot zum Svartisen-
Gletscher. Die Landschaft scheint surreal, spiegelt sich
unwirklich schön im glatten Wasser, als hätte sich jen-
seits des Polarkreises die Welt verdoppelt: Fischfarmen,
feine Sandstrände, an denen Kinder tatsächlich baden
gehen, die traditionell roten Häuschen, die früher mit
Blut und Lebertran angestrichen wurden.
B
ei unserer Rückkehr ist Schiffsmanager Petter
Overaa etwas aufgeregt. Ministerpräsident Stol-
tenberg hat einen skandinavischen Gipfel bei ihm
an Bord einberufen. Fredrik Rheinfeld aus Schweden ist
da, Jóhanna Sigurðardóttir von Island, Helle Thorning-
Schmidt aus Dänemark. Gut schauen diese Präsidenten
aus, cool bewegen sie sich an Deck. Nur ein Küstenwa-
chenschiff kreist um die MS Finnmarken, als sie in den
Trollfjord fährt. „Vor dem Massenmord des Anders Brei-
Bei 16 Grad: Halbnackte
Kinder spielen am Strand
Am Kai in Bergen: die
Abendsonne genießen
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