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Fotos:
M. Pulfer
Gehbehinderung für den Besitzer bewohnbar sein würde.
Der Eingang öffnet sich zu einem großen Wohnbereich.
Hier befinden sich eineweiße Küchemit Kochinsel, ein Ess-
bereich und eine Sofaecke. Breite Glasfronten erlauben ei-
nen freien Blick nach draußen. Die Toilette ist mehr als
geräumig und schwellenfrei. In den Garten gelangt man
mühelos durch eine große Schiebetüre aus Glas.
Noch wohnen Johanna Neutard und ihr Ehemann nicht
in ihrem „Traumhaus“. Das wurde für die Zukunft ge-
baut. Für jenen Fall, dass einer der beiden allein pflege-
bedürftig zurückbleibt und Personal benötigt, um sich
versorgen zu lassen. „Solange wir uns gegenseitig helfen
können, wohnen wir lieber in unserem alten Haus“, sagt
Johanna Neutard. Ob dieser Pflegefall jemals eintreten
wird, weiß heute natürlich keiner. Bis dahin nutzen
Tochter Nena Haider mit Ehemann Karl und ihrem klei-
nen Sohn Simon das zweistöckige Gebäude. Und das ist
durchaus sinnvoll. Denn schwellenfreie Räume sind
nicht nur für alte Menschen angenehm, sondern auch
für junge Familien. So bewegt sich der 14 Monate alte
Sohn ungebremst in der unteren Etage – keine Schwelle
und keine Stufe behindern ihn. Er räumt den großen
Wandschrank aus, während seine Mutter am Herd die
Nudeln in das heiße Wasser gleiten lässt.
Die obere Etage ist nur über eine Treppe erreichbar. Hier
befinden sich Bad und Schlafräume. Im Untergeschoss ist
noch einmal eine komplett eigenständigeWohnung einge-
richtet, in der heute eine Studentin lebt, in die aber später
auch eine Pflegekraft einziehen könnte. Nena Haider hat
kein Problem damit, dass sie mit ihrer Familie möglicher-
weise nur auf Zeit hier wohnen kann. Sie ist begeistert von
dem Haus, das für zwei unterschiedliche Leben gebaut
wurde und das gerade so gut zu ihrer Familie passt. Und
auch die Architektin Babette Schneider sagt: „Man baut
heute nicht mehr einfach nur ein Haus. Ein Haus muss
sich anpassen können an verschiedene Möglichkeiten.“
Vielen Wünschen sollten Philipp Neutard und Babette
Schneider bei der Planung des Hauses eine Form geben:
„Was nicht ganz leicht ist. Denn ein Wunsch war, spätere
Veränderungen einzuplanen. Doch wenn man sich zu vie-
les offen hält, bleibt es auch unbestimmt“, sagt der Archi-
tekt. Schließlich haben sich er und seine Kollegin für ein-
fache Formen und eine reduzierte Gestaltung entschieden,
die den Bewohnern viel Freiraum lässt. Die schwellenfreie
Dusche zum Beispiel ist zwar rollstuhlgerecht, sie taugt
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aber auch für Familienwasserschlachten. Oder die großen
Wandschränke, die den Rest der Wohnung frei halten, so-
dass jeder sie nach eigenen Vorstellungen gestalten kann.
So bleibt alles unverbaut und offen für den Generationen-
wechsel.
Mutter Johanna Neutard hat sich auch schon Gedanken
gemacht, wie der später funktionieren wird: „Dann siedelt
Nena mit ihrer Familie in unser altes Familienhaus über.“
Für diesen Fall ist im neuen Haus schon alles vorbereitet:
Wo heute im Erdgeschoss die barrierefreien Räume sind,
kann morgen schon eine vollständige Wohneinheit mit ei-
genem Bad stehen – schwellenfrei und behindertenge-
recht. An der Stelle, wo jetzt Bücherregale und Spielsachen
Platz finden, sind alle Anschlüsse für einen neuen Nass-
raum bereits eingebaut. Eine kleine Wand zusätzlich wür-
de den Wohnbereich in ein Schlafzimmer verwandeln.
Und wer hier lebt, könnte seinen Blick gleichsam rund
um die Uhr über den Garten schweifen lassen und sogar
mit Bett nach draußen gebracht werden. Genauso wie
Johanna Neutard sich das für ihr Alter vorgestellt hat.
Gemeinsamwerden die Familien wohl niemals in diesem
Haus wohnen – trotz enger und verlässlicher Verbindung
zwischen den Generationen. „Ich möchte so leben, wie
es für mich und meine Familie gut ist“, schmunzelt Nena
Haider mit einem Seitenblick auf ihre Mutter. Und die
stimmt zu. Für Johanna Neutard ist es wichtig, dass je-
der die Eigenständigkeit des anderen respektiert.
Sie genießt es, dass sie heute bereits weiß, wo sie im
Krankheitsfall einziehen wird: „Ich kann hier geistig so-
zusagen schon einmal probewohnen. Die Räume sind
mir sehr vertraut.“ Und mit der Zeit scheint das Haus
immer mehr das Herzstück der Familie zu werden. Der
pflegebedürftige Großvater wohnt im Elternhaus gleich
hinter dem Garten. Das Weihnachtsfest soll dieses Jahr
zum ersten Mal hier gefeiert werden.
„Es ist einfach schön, dass es dieses Haus gibt“, sagt Jo-
hanna Neutard und blickt vom warmen Inneren des
Hauses auf den geliebten Garten. „Noch schöner aber
wäre es, wenn keiner von uns beiden hier je einziehen
müsste, weil wir bis zum Ende beweglich bleiben!“
CHRISTIANE HIRSCH
Schwellenfrei wohnen – ideal für jedes Alter
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